Das berüchtigte russische so genannte „Anti-Schwulengesetz“
wurde von dem Verfassungsgericht Russlands überprüft (Entscheidung des
russischen Bundesverfassungsgerichtes vom 23.09.2014).
Nach Art. 6.21 des russischen
Ordnungswidrigkeitsgesetzes ist „die
Propaganda“ von
nicht-traditionellen (also gleichgeschlechtlichen) sexuellen Beziehungen
gegenüber Minderjährigen verboten.
Die Norm verstößt zwar nicht gegen die
russische Verfassung, trotzdem hatte die Verfassungsbeschwerde teilweise
Erfolg. Die Beschwerdeführer dürfen die gegen sie ergangenen Urteile nochmal von
den ordentlichen Gerichten überprüfen lassen; diesmal jedoch unter
Berücksichtigung der Meinung des russischen Verfassungsgerichtes.
Das Verfassungsgericht hat vor
allem festgestellt, dass sexuelle Orientierung in Russland frei und verfassungsrechtlich
geschützt ist (freie
Selbstbestimmung und freie Selbstentfaltung) und diese Freiheit gilt auch dann,
wenn die Mehrheit in der Gesellschaft eine nicht-traditionelle sexuelle
Orientierung missbilligt und aus ethischen, religiösen oder anderen sozialen,
historischen und kulturellen Gründen ablehnt.
Ein
Recht auf freie sexuelle Orientierung wird auch durch die arbeits- straf- und
ordnungsrechtlichen Normen ausreichend geprägt, z.B. Diskriminierungsverbot in
Art. 5 des russischen Arbeitsgesetzbuches, besonders schwere Tat nach Art. 63
und eine Straftat wegen Diskriminierung nach Art. 136 des russischen Strafgesetzbuches.
Zum Begriff „Propaganda“ hat das Verfassungsgericht
erklärt, dass dieser Begriff sehr eng und sehr streng, unter Berücksichtigung
der Grundrechte, auszulegen ist. Das heißt, dass es nicht jede Informationsverbreitung
über die Homosexuellen sofort als Propaganda gilt. Es ist nämlich ein vorsätzliches,
informatives, auf die Beeinflussung der Kinder gezieltes Vorgehen unter
Berücksichtigung allen Umständen des Einzelfalles erforderlich.
Das Verfassungsgericht hat ausdrücklich
betont, dass die an die Kinder gerichteten Informationen über die homosexuellen
Beziehungen als solche durch das umstrittene Gesetz nicht verboten sind. Die
Kinder könnten nach den konkreten Umständen des Einzelfalles (z.B. Erlaubnis
der Eltern, Alter der Kinder usw.) und von Sachverständigen darüber informiert
werden.
Nach
Auffassung des Verfassungsgerichtes beinhaltet die umstrittene Norm keinen
Eingriff in die persönliche Freiheit bzw. in die sexuelle Selbstbestimmung
einer Person und sie ist nicht auf ein Verbot oder eine Missbilligung von
nicht-traditionellen sexuellen Beziehungen gerichtet.
Grund für die Verfassungsbeschwerde:
In
dem der Entscheidung zugrunde liegende Fall wurden die Beschwerdeführer nach
der oben genannten Rechtsnorm zu einem Ordnungsgeld verurteilt, weil sie mit
den Plakaten „Es existiert keine Schwulen-Propaganda“ und „Schwul kann man
nicht werden, sondern man wird als schwul geboren!“ und „Schwul zu sein und
Schwulen zu lieben – Es ist in Ordnung. Schwulen schlagen und Schwulen töten – Es
ist ein Verbrechen“ demonstriert; der Eine hat vor einer Kinderbibliothek und der
Andere hat auf der Straße demonstriert.
Für
Verfassungsrechtler und Kritiker ist es eine sehr lesenswerte Entscheidung.
Aleksej Dorochov
Russischer Advokat
www.advokat-dorochov.de